Zitierlink: https://doi.org/10.25819/ubsi/10713
Mentales Zeitreisen mit Kant
Sonstiger Titel
Mental time travelling with Kant
Literaturtyp
Master Thesis
Autor/innen
Karin Lindner
Einrichtung(en)
Erscheinungsdatum
2025
Zusammenfassung
Die Fähigkeit des mentalen Zeitreisens ist für uns völlig alltäglich. Selten bis nie reflektieren wir im Alltag darüber, wie viel Erinnern und wie viel Imaginieren wir im Verlauf eines Tages erleben, wie geprägt unser gegenwärtiges Denken und Handeln von vergangenen Erfahrungen und zukünftigen Zielen ist. Würde aber diese Fähigkeit Schaden nehmen, wie es z. B. im Fall von Demenzerkrankungen eintreten kann oder sogar wegfallen, stellt sich die Frage: Wer wären wir ohne unsere Erinnerungen und ohne unsere Wünsche, Erwartungen und Ziele? Über mentales Zeitreisen nachzudenken bedeutet also, über eine Fähigkeit nachzudenken, die uns Menschen als Menschen ausmacht.
Kant hat allerdings weder viel über Erinnerungen und Imaginationen geschrieben, noch hat er die Psychologie als Wissenschaft gesehen. Indem sich auf die rekonstruierte Wahrnehmungstheorie von Kant bezogen wird und die transzendentalphilosophische Subjektivitätstheorie, wie sie von Gerold Prauss (1990 ff.) entwickelt wurde, zu Grunde gelegt wird, kann Kant und kantisches Vokabular auch in einer modernen Debatte über mentales Zeitreisen herangezogen werden. Kants Wahrnehmungstheorie muss dafür zunächst ergänzt werden, um die Komponenten des Vergangenen wie auch des Zukünftigen. Diese Ergänzung ist genau genommen eine Weiterentwicklung der kantischen Theorie, da sie empirische Befunde ernst nimmt und diese, mittels kantischem Vokabular, aufnimmt.
Die Art und Weise, wie wir Erinnerungen und Imaginationen erzeugen, ist dieselbe. Wir benötigen bei beiden Akten produktive Einbildungskraft, um eine andere Zeitform als die der Gegenwart zu erzielen. Und wir benötigen bei beiden Akten reproduktive Einbildungskraft, um uns ein Objekt/ein Ereignis gegenständlich zu machen. Episodisches Erinnern und Imaginieren bedeutet, dass es um Ereignisse meiner Vergangenheit und Zukunft geht und nicht um die von irgendjemandem. Ausschlaggebend dafür, dass ich eine Erinnerung bzw. eine Imagination als meine annehme, ist mein Bewusstsein: als Selbstverwirklichungs- wie auch Fremdverwirklichungsbewusstsein (Friebe 2005) in der ursprünglichen Wahrnehmung, als Fremd- wie auch Selbstverzeitlichungsbewusstsein in der Erinnerung und Imagination. Letzteres kann nur aktiviert werden, wenn es überhaupt eine Erfahrung gibt, auf die ich mich beziehen kann, von der ich etwas ableiten kann – ob als Erinnerung oder als Imagination. Beide Akte beruhen auf der Fähigkeit eines Subjekts, reflektieren zu können. Damit ist mentales Zeitreisen zunächst nur erfahrenen Subjekten zugänglich, die diese Akte bewusst anstreben. Allerdings sind Erinnerungen in einem höheren Maße irrtumsanfällig. Die in dieser Arbeit beschriebenen Irrtumsmöglichkeiten zeigen daher auch die Unterschiede zwischen Erinnern und Imaginieren auf. Diese Unterschiede können weitere Perspektiven in die Debatte um mentales Zeitreisen einbringen, die noch stark von zwei gegensätzlichen Theorien beherrscht wird: Kausaltheorien und Simulationstheorien. Die erweiterte Subjektivitätstheorie erweist sich als eine hybride Theorie.
Kant hat allerdings weder viel über Erinnerungen und Imaginationen geschrieben, noch hat er die Psychologie als Wissenschaft gesehen. Indem sich auf die rekonstruierte Wahrnehmungstheorie von Kant bezogen wird und die transzendentalphilosophische Subjektivitätstheorie, wie sie von Gerold Prauss (1990 ff.) entwickelt wurde, zu Grunde gelegt wird, kann Kant und kantisches Vokabular auch in einer modernen Debatte über mentales Zeitreisen herangezogen werden. Kants Wahrnehmungstheorie muss dafür zunächst ergänzt werden, um die Komponenten des Vergangenen wie auch des Zukünftigen. Diese Ergänzung ist genau genommen eine Weiterentwicklung der kantischen Theorie, da sie empirische Befunde ernst nimmt und diese, mittels kantischem Vokabular, aufnimmt.
Die Art und Weise, wie wir Erinnerungen und Imaginationen erzeugen, ist dieselbe. Wir benötigen bei beiden Akten produktive Einbildungskraft, um eine andere Zeitform als die der Gegenwart zu erzielen. Und wir benötigen bei beiden Akten reproduktive Einbildungskraft, um uns ein Objekt/ein Ereignis gegenständlich zu machen. Episodisches Erinnern und Imaginieren bedeutet, dass es um Ereignisse meiner Vergangenheit und Zukunft geht und nicht um die von irgendjemandem. Ausschlaggebend dafür, dass ich eine Erinnerung bzw. eine Imagination als meine annehme, ist mein Bewusstsein: als Selbstverwirklichungs- wie auch Fremdverwirklichungsbewusstsein (Friebe 2005) in der ursprünglichen Wahrnehmung, als Fremd- wie auch Selbstverzeitlichungsbewusstsein in der Erinnerung und Imagination. Letzteres kann nur aktiviert werden, wenn es überhaupt eine Erfahrung gibt, auf die ich mich beziehen kann, von der ich etwas ableiten kann – ob als Erinnerung oder als Imagination. Beide Akte beruhen auf der Fähigkeit eines Subjekts, reflektieren zu können. Damit ist mentales Zeitreisen zunächst nur erfahrenen Subjekten zugänglich, die diese Akte bewusst anstreben. Allerdings sind Erinnerungen in einem höheren Maße irrtumsanfällig. Die in dieser Arbeit beschriebenen Irrtumsmöglichkeiten zeigen daher auch die Unterschiede zwischen Erinnern und Imaginieren auf. Diese Unterschiede können weitere Perspektiven in die Debatte um mentales Zeitreisen einbringen, die noch stark von zwei gegensätzlichen Theorien beherrscht wird: Kausaltheorien und Simulationstheorien. Die erweiterte Subjektivitätstheorie erweist sich als eine hybride Theorie.
Datei(en)![Vorschaubild]()
Lade...
Name
Masterarbeit_Lindner_Karin.pdf
Size
834.72 KB
Format
Adobe PDF
Checksum
(MD5):5cdcc4014e1b9e8d4bb55efcb4110014
Enthalten in den Sammlungen